Die Stadt Wien
als Protestraum

Eine Erfolgsgeschichte aus dem öffentlichen Raum

von Magdalena Augustin

As long as there are still spaces that can be appropriated by those who offer new and different ideas and rationalizations, there is a chance that political business-as-usual will be interrupted and things might actually change – even if this chance is not realised every day. In this sense, urban public spaces are needed more urgently than ever in our post-political times(Huning, 2016: 255).”

Vom öffentlichen Raum im Kontext der Demokratie

Im Mai 2020 hat die Ermordung des Afroamerikaners George Floyd durch rassistisch motivierte Polizeigewalt in den USA, die Welt erschüttert. Als Antwort auf die Gewalttaten gegenüber Floyd sowie vielen anderen People of Color durch die Polizei wurden, im Zuge der „Black Lives Matter“ Bewegung, öffentliche Räume auf der ganzen Welt zum Ort des politischen Widerstands. So auch der Platz der Menschenrechte, der Getreidemarkt und der Karlsplatz in Wien. Die global vernetzte Stadt wurde dabei zu einem strategischen Ort(vgl. Godehardt 2017: 5). Die Ereignisse verdeutlichten einmal mehr die enorme Relevanz des öffentlichen Raums als Ort der demokratischen Meinungsäußerung. Öffentliche Protesträume stellen einen wesentlicher Bestandteil jeder demokratischen Stadt dar. 

Und so kam es zum Anliegen der Bachelorarbeit...

Trotz der hohen gesellschaftspolitischen Wichtigkeit sind die Protesträume Wiens eine räumliche Erfolgsgeschichte, welcher im Planungsdiskurs wenig Aufmerksamkeit zukommt. Daher wurde es mir im Zuge meiner Bachelorarbeit zum Anliegen, einerseits ein Verständnis für die Entstehung von urbanen Räumen des Protests zu entwickeln. Andererseits die Rolle der Raumplanung im Kontext von Demokratie und öffentlichem Raum zu erarbeiten. 

Ein Blick auf die Protesträume Wiens

Die Stadt Wien ist Protestraum. Die Räume und Formen des friedlichen politischen Widerstands sind jedoch divers. Ein Einblick: 

Die Versammlungsräume

Zum einen stellt der Stadtkern Wiens den symbolischer Machtraum der Stadt dar.(siehe Abbildung unten) Er wird intensiv für Protestformen im Kontext der Versammlungsfreiheit, also Demonstrationen und Kundgebungen, genutzt. Ein Netzwerk aus Plätzen, Parks und Straßen mit politischer und öffentlicher Repräsentation und hoher Nutzungsoffenheit stellt die optimalen Voraussetzungen für Versammlungen dar.  Die Mariahilfer Straße und die Ringstraße sind durch ihren breiten Straßenquerschnitt baulich für Massendemonstrationen geeignet. Ebenso wie die angedockten historischen Plätze, zum Beispiel der Karlsplatz und der Heldenplatz, die zudem durch ihre symbolische Architektur und Akustik für Kundgebungen besonders gerne genutzt werden. Durch die zentrale Lage und hohe Frequenz der Räume wird außerdem viel Aufmerksamkeit erzeugt, wodurch ein wesentliches Ziel von Protestaktionen erreicht wird.  

Versammlungsräume Wien (c) Magdalena Augustin

Die kreativen Protesträume

Auch außerhalb des Machtzentrums der Stadt werden unterschiedliche Räume für verschiedene Formen des politischen Widerstands genutzt – auch abseits von Demonstrationen und Kundgebungen. In Ottakring zum Beispiel. Der 16. Bezirk ist von enormen Transformationsdynamiken betroffen, welche die Umstrukturierung der Wohnverhältnisse und den Ausschluss ökonomisch Schwacher zur Folge haben. Als Antwort auf den Verdrängungsprozess wird sich der Raum durch Street Art, politische Poster oder Sticker angeeignet. Erwähnte Protestformen können im Gegensatz zu beispielsweise Demos auch von Einzelpersonen und anonym praktiziert werden. Die Problematik kreativer Protesträume liegt jedoch darin, dass sie von starker Kriminalisierung betroffen sind.

Protest in Ottakring (c) Magdalena Augustin

Öffentlicher Raum ist Protestraum.
Was heißt das für die Raumplanung?

Öffentliche Protesträume sind ein essenzieller Bestandteil jeder Stadt. Doch die zunehmende Kommerzialisierung und Multifunktionalisierung öffentlicher Räume stellt ein Risiko für ihre konfliktfreie Nutzung als Protestraum dar. Und spätestens an diesem Punkt kommt die Raumplanung ins Spiel. In einer Demokratie muss es im Grundverständnis der Planenden verankert sein, den Zugang zu entkriminalisierten, öffentlichen Protesträumen für alle Bewohner*innen der Stadt sicherzustellen. Daher habe ich vier Handlungsfelder entwickelt, welche als Vorschlag zur Integration der Thematik in die Planungspraxis öffentlicher Räume dienen sollen. 

Bei der Abwägung von Interessen im öffentlichen Raum gilt es als Planungsakteur*in  Position zu beziehen und Prioritäten zu setzen. Das betrifft Themen wie die klimasensitive Stadtentwicklung, aber auch die Demokratie und ihre Grundrechte im öffentlichen Raum. Als Akteur*in spielt dabei vor allem die MA18, mit dem Fachkonzept für den öffentlichen Raum Wien, eine große Rolle.

Planungsverständnis (c) Magdalena Augustin

Ein Anteil städtischer öffentlicher Räume, besonders in zentralen und repräsentativen Lagen, muss für Demonstrationen und Kundgebungen geeignet sein. Dabei sind die Versammlungsplätze  und -straßen im Stadtkern von höchster Priorität (siehe Karte oben). Sie gilt es in ihrer Charakteristik zu sichern. Zusätzlich ist es notwendig auch in allen anderen Bezirken Versammlungsräume sicherzustellen, um Möglichkeitsräume für politische Meinungsäußerung und demokratische Teilhabe zu schaffen, sowie ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken.

Der Versammlungsplatz, (c) Magdalena Augustin

Um möglichst vielen Bevölkerungsgruppen konfliktfreien Zugang zu Meinungsäußerung im öffentlichen Raum zu verschaffen, braucht es diversere entkriminalisierte Protestformen in unterschiedlichen Lagen der Stadt. Hierbei ist es wichtig je nach Bezirk zu begutachten, für welche Formen des politischen Widerstands der öffentliche Raum bereits genutzt wird. Aus der Analyse ergibt sich, dass im Beispielbezirk Ottakring hauptsächlich Graffiti, Plakate und Sticker als illegale politische Protestformen praktiziert werden. Entgegen der Verdrängung und Stigmatisierung dieser, soll ein entkriminalisierter Rahmen geschaffen werden.

Legale Graffiti-Wand Yppenplatz („Wienerwand“) (c) Magdalena Augustin

Friedlicher Protest soll normalisiert statt stigmatisiert und dadurch Nutzungskonflikte zwischen den Akteur*innen im Raum verringert werden. Bewusstseinsbildende Maßnahmen im öffentlichen Raum sollen die Wahrnehmung desselben als Ort der Öffentlichkeit, der Versammlung und des friedlichen politischen Widerstands fördern. Durch Kunstinstallationen soll die räumliche Symbolik in Versammlungsräumen und kreativen Protesträumen dahingehend gestärkt werden. Als Referenzbeispiel gilt die Kunstinstallation am Platz der Menschenrechte. Dort wurden die Menschenrechte durch ein Kunstprojekt von Francoise Schein, eine langen Tafel auf der die Grundrechte zu lesen sind, symbolisch in den Raum eingeschrieben(vgl. KÖR 2017). 

Tafel Platz der Menschenrechte (c) Magdalena Augustin

Quellen:

Habermas, Jürgen(1992): Further Reflection on the Public Sphere. In: Calhoun, Craig (Hrsg.), Habermas and the Public Sphere, Cambridge, Massachusetts and London: MIT Press, S.421-461.

Ingruber, Daniela (2018): Demokratie braucht den öffentlichen Raum, [online] https://www.austriandemocracylab.at/demokratie-braucht-den-oeffentlichen raum/ (20.07.2020).

Huning, Sandra (2016): Urban open spaces as an arena for political action: The cases of the Monday demonstrations in Leipzig, Germany (1989/90), and the G8 counter summit in Genoa, Italy (2001, in: Bernhardt, Christoph (Hrsg.), Städtische öffentliche Räume – Planungen, Aneignungen, Aufstände 1945-2015 : Urban Public Spaces: planning, appropriation, rebellions 1945-2015, Stuttgart: Franz Steiner Verlag, S. 233-257.

KÖR (2018): Künstlerische Gestaltung am Platz der Menschenrechte, [online] koer.or.at/ projekte/kuenstlerische-gestaltung-am-platz-der-menschenrechte/ (20.07.2020).

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