Homo urbanus - Was macht eine Verhaltensbiologin in der Raumplanung?
von Raffaela Dorner
Warum es ganz normal ist, dass wir uns zu Stoßzeiten in vollen U-Bahnen nicht wohl fühlen und wir neben einem Brunnen weniger streiten – klärt Dr. Elisabeth Oberzaucher in ihrem neuen Buch „Homo urbanus“ auf. Was das mit Raumplanung zu tun hat, erfährst du hier!
Mitreißende Rhetorik, ausschweifende Handbewegungen und das wichtigste – viel Humor – so lassen sich Vorträge von Elisabeth Oberzaucher beschreiben. Und dann bringt sie einem auch noch wirklich etwas bei! Die Verhaltensbiologin versteht es, Laien ihre fachlichen Herzensthemen aufzubereiten und bei ihnen Interesse zu wecken. Wer gelegentlich beim Wissenschaftskabarett Science Busters einschaltet, ist bestimmt auch schon in den Genuss ihrer unterhaltsamen Ausführungen gekommen. Seit 2016 ist sie dort regelmäßig gemeinsam mit anderen Wissenschaftler*innen unter dem Motto „Wissenschaft für alle auf möglichst hohem performativen, wissenschaftlichen und humoristischen Niveau“ zu sehen. Hauptberuflich forscht und lehrt die studierte Zoologin und promovierte Anthropologin allerdings seit 2001 am Department für Anthropologie an der Universität Wien und leitet seit 2015 das Forschungsinstitut Urban Human.
Warum Homo urbanus?
Naturverbunden und auf dem Land aufgewachsen, glaubt Elisabeth Oberzaucher trotzdem nicht, dass ihre Studien- und Berufswahl schon früh absehbar war. Selbst im Studium habe sie alles interessiert und sie sich zuerst an Ameisen ausprobiert, bevor sie ihre Liebe zur Anthropologie entdeckte. Beim Menschen blieb sie dann auch, und versucht seitdem besser zu verstehen, wie Menschen eigentlich so ticken und agieren. Warum aber dann nicht Homo sapiens, sondern Homo urbanus erforschen? In einem Vortrag, den Oberzaucher im Februar 2019 für die tele-akademie des SWR hielt, erklärt sie ihre Wahl so: „Homo Urbanus ist für mich eine Menschenart, die doch eigentlich den Großteil der Menschen mittlerweile darstellt. Es leben mehr Menschen in Städten als auf dem Land und dementsprechend ist es natürlich wichtig, sich mit dem urbanen Leben auseinanderzusetzen.“ Und warum glaubt sie als Biologin bei der Raumplanung mitmischen zu können? Ganz einfach „Wir [Menschen] sind Produkte einer sehr langen Evolutionsgeschichte, die uns geformt hat. Anatomisch, so wie wir uns darstellen heute, dass wir auf unseren Hinterbeinen gehen, den aufrechten Gang beherrschen. Aber auch was unsere Wahrnehmung betrifft, dass wir zum Beispiel dort besonders gut hören können, wo sich die menschliche Sprache auch ansiedelt. Solche Dinge sind in unserer Evolutionsgeschichte entstanden, als Antworten auf Herausforderungen, die unsere Lebensbedingungen an uns gestellt haben.“ Wer wäre also besser dazu geeignet, Raumplaner*innen bei der Gestaltung unserer täglichem Umgebung zu unterstützen, als eine Evolutionsbiologin?
Am Wasser fühlen wir uns wohl
In ihrem 2017 erschienen Buch, Homo urbanus, beschreibt sie, wie wir Menschen, evolutionsbedingt, auf unterschiedliche Einflüsse in unserem städtischen Umfeld reagieren. Viele der im Buch genannten Beispiele klingen zunächst, als Raumplaner*in, aber auch einfach als Mensch, völlig logisch und bekannt. Was einem allerdings nicht so bekannt vorkommt, sind die Ursprünge für gewisse zu erwartende Reaktionen unserer Mitmenschen. Nehmen wir als Beispiel das Wasser her: Es löst beim Menschen eine spontane, emotionale, positive Reaktion aus. Wir fühlen uns automatisch wohler, wenn wir Wasser sehen, sind kontaktfreudiger und streiten auch weniger. Dass Brunnen in der Stadt eine beruhigende Atmosphäre bilden und dass jede Wasseroberfläche mehr, gerade in Zeiten des Klimawandels, einen Beitrag leisten kann, ist „common knowledge“. Doch, dass das alles einen evolutionsbedingten Hintergrund haben könnte, kommt vielleicht nicht jede*m*r gleich in den Sinn. Und es geht noch weiter: „Bewegtes Wasser löst stärkere Reaktionen aus als stehende Gewässer. Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass stehende Gewässer meist eine höhere Parasitenbelastung aufweisen als fließende.“ Ähnlich sieht es mit der Rush-hour in öffentlichen Verkehrsmitteln aus. Man kann sagen keine*r mag volle U-Bahnen; es ist schlichtweg unangenehm zusammengepfercht auf engem Raum mit Fremden auf die richtige, erlösende Station zu warten. Warum wir das aber nicht mögen und wie wir das eigentlich ohne Panikattacke überleben, erklärt Oberzaucher in ihrem Buch genauer. Unser Gehirn muss jeden Tag unendlich viele Informationen verarbeiten, je mehr Menschen wir sehen, desto mehr muss verarbeitet werden – ist es zu viel, empfinden wir Stress und fühlen uns unwohl. Wir steigen aber trotzdem freiwillig in volle U-Bahnen, weil uns bewusst ist, dass diese, für uns unangenehme, Situation ein absehbares Ende hat und somit weniger Stress in uns auslöst, weil wir bereits wissen, was uns erwartet. Nicht nur beim Lauschen ihrer Vorträge, sondern auch beim Lesen ihres Buchs merkt man, dass Elisabeth Oberzaucher nicht auf ein rein wissenschaftliches Publikum abzielt. Sie möchte Wissen verbreiten und zwar jenes, das auch im Alltag wirklich von Nutzen sein kann.
Die Menschen im Mittelpunkt
Welchen konkreten Rat kann eine Biologin also Raumplaner*innen und Architekt*innen für die Stadtgestaltung geben? In einem Interview, dass sie 2018 der Plattform architektur in progress gab, sagte Oberzaucher: „Baukultur sollte für mich immer die Menschen im Mittelpunkt der Überlegungen haben – also so gestalten, dass die Nutzer*innenbedürfnisse eigentlich im Zentrum stehen und sich die Architektur, sich die Baukunst dem Ganzen unterordnet.“
Als Raumplaner*innen planen wir Räume für und mit Menschen, die alle der gleichen Evolutionsgeschichte entstammen. Elisabeth Oberzaucher zeigt sehr gut, wie stark Planer*innen (und im Endeffekt alle Menschen) von Interdisziplinarität profitieren können und wie weit man bei der Gestaltung unserer Lebensräume gehen muss, um eine ideale Umgebung zu schaffen – zurück zu den Wurzeln.