Gesund Schrumpfen?!

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von Raffaela Dorner

Was gesund schrumpfen bedeutet und wie ein wahres Raumplanungs-festival aussieht erfährst du in diesem Text über die steirische Bergbaustadt Eisenerz.

10 Jahre Gold, 100 Jahre Silber oder Eisen für immer. Diese Optionen hatten die Eisenerzer*innen, laut einer Sage. Wie der heutige Name des Ortes vermuten lässt, entschieden sie sich für das immerwährende Eisen im Berg.

Mittlerweile wird in Eisenerz seit mehr als 1.000 Jahren Erz abgebaut. Bis heute ist der Erzberg der größte Tagebau Mitteleuropas und steht als Symbol für die Industrialisierung Österreichs. Doch wie das Wort Industrialisierung bereits verrät, werden mit jedem technischen Fortschritt weniger Menschen für die anfallende Arbeit benötigt. Wo auch nach dem 2. Weltkrieg immer noch rund 4.000 Eisenerzer*innen Arbeit im Bergbau fanden, sind heute nur noch 230 Mitarbeiter*innen beschäftigt. Eine natürliche Folge ist Abwanderung, die in diesem Fall allerdings intensiver ausfällt, als man sie vielleicht andernorts kennt. Seit den 1950er Jahren hat Eisenerz mehr als die Hälfte seiner Bevölkerung verloren und schrumpfte so von einst knapp 13.000 Einwohner*innen zurück auf den Bevölkerungsstand vor der Industrialisierung, von rund 4.000 Eisenerzer*innen. Hinzu kommt noch, dass Eisenerz aus demographischer Sicht auch noch die älteste Gemeinde Österreichs ist.

Klingt natürlich alles sehr dramatisch. Trotzdem will Eisenerz nicht als Symbol für Landflucht stehen – „gesund schrumpfen“ lautet die Devise. Und da beginnt auch die von mir identifizierte raumplanerische, Erfolgsstory von Eisenerz.

Der Erzberg © Felix Jansky

Umbruch Aufbruch

Vorgänge analysieren, akzeptieren und innovativ, optimistisch damit umgehen lernen, so könnte man den Prozess beschreiben, der 2004 angestoßen wurde. Ausgangspunkt war der Besuch der Ausstellung „Shrinking Cities“ in Berlin. Dieser inspirierte den Soziologen Rainer Rosegger und den Architekten Werner Nussmüller dazu, im Jahr 2005 ein umfassendes Maßnahmenprogramm für den Umgang mit Schrumpfung in der Bergbaustadt zu initiieren: redesign Eisenerz 2021.  Im Jahr 2006 folgte eine Ausstellung namens „Umbruch Aufbruch“ zur Thematisierung der problematischen Lage und möglicher Lösungen. Durch das gezielte Aufzeigen der regionalen Probleme konnten im Jahr 2007 dann durch einen Landesregierungsbeschluss über 4 Millionen Euro an Fördergeldern gewonnen werden, die in das Rückbau-, Sanierungs- und Umnutzungskonzept fließen sollten.

Ziel des Programms redesign Eisenerz 2021 war es, innerhalb von 15 Jahren den Bevölkerungsrückgang zu stoppen und die Stadt weitestgehend zu sanieren. Wobei sich die Sanierung in diesem Fall nicht nur auf die Instandsetzung von Gebäuden bezieht, sondern auch auf das „Schleifen“ von leerstehenden Wohnhäusern. Dabei wurde stets ein Fokus auf soziale Nachhaltigkeit und Verträglichkeit gesetzt.
Da sich Eisenerz neben dem historischen Stadtkern auch aus einigen alten Arbeiter*innensiedlungen zusammensetzt, die teilweise peripher liegen und selbst mit dem Auto 5 Minuten vom Zentrum entfernt sind, waren auch freiwillige Umsiedlungen Teil des Rückbauprogramms. So wurden zum Beispiel den von 4.000 noch übrig gebliebenen 200 Bewohner*innen der Münichtalsiedlung im Jahr 2015 neu sanierte Wohnungen im Innenstadtkern angeboten. Der Umzug wurde von der Stadt gefördert – viele nahmen das Angebot an.

Warum ist es aber so wichtig, Maßnahmen gegen Leerstand und Zersiedelung zu ergreifen? Man könnte jetzt sagen: Ganz einfach, keine*r will in einer Geisterstadt leben. Aber in Wirklichkeit ist es nicht nur nicht schön anzusehen, wenn in einer Stadt jedes zweite Haus leer steht, es ist auch sehr kostenintensiv. Denn Infrastrukturen wie Straßen und Kanal müssen auch von der Gemeinde instand gehalten werden, wenn sie nur noch von einem einzelnen Haus genutzt werden.

In Eisenerz war es in den ersten 10 Jahren des Programms redesign Eisenerz 2021 alleine durch Rückbauten, Umnutzungen und die Umsiedlung von insgesamt 150 Bewohner*innen  möglich, den Leerstand von rund 3.000 Wohnungen auf 1.799 Wohnungen zu reduzieren.

Ortskernbelebung © Verein Rostfrei

Das Rostfest

Doch neben dem wissenschaftlichen und konkreten Zugang des Maßnahmenprogramms redesign Eisenerz 2021 wurde stets auch über andere Kanäle versucht die Stadt zu beleben. Im Jahr 2009 entschied man sich dazu, das Programm um ein Kulturentwicklungskonzept zu erweitern.  Somit sollte der Veränderungsprozess in Eisenerz durch Kulturschaffende ergänzt und begleitet werden. In diesem Zusammenhang entstand auch das „Rostfest – Festival für regionale Impulse“. Das Rostfest findet seit 2012, mit einer kurzen Unterbrechung im Jahr 2017, jährlich in Eisenerz statt und bietet einen experimentellen Rahmen, in dem Kunst, Musik, Sport, Action und vieles mehr für alle Generationen zusammenfindet. Eingebettet in einem Rahmen aus Kunst und Kultur kommt auch der Diskurs über regionale und andere relevante Themen nicht zu kurz. Die Veranstalter*innen identifizieren die Synergien, die sich durch das regionale Festival ergeben rückblickend in verschiedensten Bereichen: „So konnten neuartige Inhalte entstehen, die unterschiedliche Menschen und Bevölkerungsgruppen ansprechen und zum Reflektieren motivieren. KünstlerInnen(kollektive) arbeiteten in und rund um leerstehende Gebäude, beleben Plätze, zeigen auf, provozieren, denken über Vergangenes nach, behandeln die Zukunft, verändern Perspektiven und Fragen nach Handlungsstrategien. Performances schaffen Spielräume, die zum Nachdenken anregen, neue Perspektiven aufzeigen oder einfach zum Mitmachen inspirieren.“. 
2016 war das Festival dann so groß, dass an 3 Tagen rund 10.000 Menschen in Eisenerz zu Besuch waren und die Stadt mit Leben erfüllten. Als Reaktion auf den großen Zuspruch gründeten die Veranstalter*innen den Verein „Rostfrei – Verein für regionale Impulse“ und man entschied sich dazu, mit dem Rostfest ein Jahr Pause zu machen, um Organisationsstruktur und Programm an das Wachstum anzupassen und die Aktivitäten auf das ganze Jahr auszudehnen. Ziel ist es ganzjährig in einem kreativem Beteiligungsprozess zu arbeiten, der sich mit den Auswirkungen von Abwanderung und demographischem Wandel auseinandersetzt und versucht damit aktiv umzugehen.

Rostfest 2019 © Verein Rostfrei

Ein Raumplanungsfestival?

Beim Rostfest 2019 durfte ich selbst dabei sein und ich kann nur sagen es ist DAS Raumplanungsfestival schlechthin. Dort wird Raumplanung von Menschen für Menschen gelebt, auch wenn vielleicht gar nicht in erster Linie darauf abgezielt wird.
Fast 10.000 m² Leerstand werden bespielt und der Öffentlichkeit näher gebracht und das Ortszentrum wird im wahrsten Sinne des Wortes wiederbelebt. Mitten im Ortskern steht eine riesige Bühne, auf der bekannte regionale und internationale Künstler*innen auftreten. Gezeltet wird im Leerstand (Urban Camping), gegessen wird im Wirtshaus und die Afterparty findet in der Dorfdisko statt. Was dort jedes Jahr wieder in Kooperation mit den Eisenerzer*innen auf die Beine gestellt wird, kann nur positive Auswirkungen auf den Alltag in Eisenerz haben und hilft ganz bestimmt beim gesund schrumpfen.

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