GRÜNES VERBINDET

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von Marion Göll

Über Jahrzehnte hinweg versperrte der Eiserne Vorhang den Blick zu den Nachbarn. Doch mit dem Mauerfall öffneten sich neue Türen und Potenziale für das Grenzgebiet.

„Hebt man den Blick, so sieht man keine Grenzen.“ (aus Japan)

Europa, in den 1980er Jahren. Stacheldraht teilt Europa in Ost und West. Der rund 7.000 km lange Eiserne Vorhang trennt Familien und Freunde. Einstige Nachbarn scheinen unerreichbar auf der anderen Seite des Walls. Die Grenze zu überqueren ist kein einfaches Unterfangen. Es braucht lange Vorbereitung, um die nötigen Papiere zu erhalten und selbst dann, wenn man glaubt alle Dokumente zusammengetragen zu haben, besteht bis zum letzten Moment die Ungewissheit, ob man es auf die gegenüberliegende Seite schaffen wird. Der Grenzraum wird auch Todeszone genannt. Menschen versuchen, mit allen Mitteln auf die andere Seite zu gelangen. Nicht immer gelingt das Wagnis zu flüchten. Bis 1989 werden alleine an der Grenze zwischen der Tschechoslowakei und Österreich rund 130 Personen bei einem Fluchtversuch sterben.

1989 –  vor rund 30 Jahren – geschieht das für viele völlig Unerwartete. Der Eiserne Vorhang fällt. Die Grenzen stehen den Menschen offen. Schritt für Schritt wird der Grenzzaun abgebaut und nur noch wenige Teilstücke erinnern an die getrennte Vergangenheit. Europa ist wieder vereint.

Über fast 40 Jahre hinweg wurde kaum in den linearen Landschaftsraum am Eisernen Vorhang eingegriffen. Der Naturraum wurde weder landwirtschaftlich genützt noch durch menschliche Eingriffe in das Landschaftsbild gestört. Daraus folgend konnten sich weitreichende Gebiete unberührter Natur entwickeln sowie ein Rückzugsraum für viele seltene Tier- und Pflanzenarten entstehen.

Über die grüne Verbindung

Im Jahr 2003 wurde die erste internationale Konferenz zum Grünen Band Europas abgehalten, wobei sich einzelne regionale Gruppen zu einer gemeinsamen europäischen Initiative zusammenschlossen, mit dem Ziel den vielfältigen Natur- und Landschaftsraum zu bewahren und zu schützen. Das Grüne Band Europas verbindet entlang des ehemaligen Eisernen Vorhanges den Norden und den Süden Europas auf einer Länge von rund 12.500 Kilometern. Es reicht vom nördlichen Norwegen am Eismeer bis zur türkischen Grenze am Schwarzen Meer. Dabei werden insgesamt 24 europäische Staaten miteinander verbunden, welche in vier Abschnitte untergliedert werden, um die regionalen Besonderheiten hervorzuheben und die Organisationsstruktur zu erleichtern.

 

Grünes Band Europa (c) Marion Göll

Im Norden findet sich die Region Fennoskandien mit den Ländern Norwegen, Finnland und Russland, welche sowohl von Flechten, Moosen und Zwergsträuchern, als auch von großen Nadelwäldern geprägt ist. Darüber hinaus bietet die Region Lebensraum für Braunbären und auch der finnische Nationalvogel, der Singschwan, findet hier Möglichkeiten zum Rückzug für seine Brutstätten.

Folglich erstreckt sich die baltische Region über die Staaten Estland, Lettland, Litauen und Polen an der Küste zur Ostsee. Hier findet man eine Diversität an Dünenfeldern, langen Stränden, Klippen und Lagunen sowie ein einzigartiges Reservoir für eine Vielzahl an Zugvögeln und Meerestieren.

Daran anschließend zieht sich das Grüne Band weiter durch Mitteleuropa mit den Staaten Deutschland, Tschechien, Österreich, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Italien und Kroatien. Die Mitteleuropäische Region ist geprägt von der Böhmischen Masse mit einer Vielzahl an grenzüberschreitenden Nationalparks und verläuft an der Mur und der Drau durch die Karawanken und die Julischen Alpen. Diese Region verbindet sowohl Grünland und Feuchtgebiete, als auch Trockenrasen und ausgewachsene Waldbestände.

Im Süden findet sich mit dem Balkan der letzte Abschnitt des Grünen Bandes, zu dem die Länder Serbien, Montenegro, Mazedonien, Rumänien, Bulgarien, Albanien, Kosovo, Griechenland sowie die Türkei zählen. Diese Region wird sowohl von alpinen Landschaften, Wäldern und Steppen als auch von Seen und Küsten geprägt. Der östliche Kaiseradler und der Balkanluchs sind hier beheimatet.

Grundsätzlich ist das Grüne Band durch Europa durch keine direkte rechtliche Bestimmung als Schutzgebiet gesichert. Jedoch ergibt sich der Schutzstatus der linearen Grünachse durch unterschiedliche Schutzgebiete, welche in das Grüne Band eingebettet sind. Beispielsweise wird das Grüne Band durch internationale Übereinkommen wie den Natura 2000 Schutzgebieten, der Berner Konvention, der Biodiversitätskonvention, aber auch durch nationale Verordnungen wie in Österreich durch die Naturschutzgebiete gesichert. Die rechtlichen Grundlagen sind daher von besonderer Relevanz zum Schutz des Bandes, da durch bspw. Infrastrukturplanungen wie dem Straßenbau oder auch der Siedlungsentwicklung der Erhalt eines weitgehend durchgängigen grünen Netzwerks immer wieder gefährdet ist.

Einmal quer durch Europa

Grenzüberschreitende Projekte fördern und fordern die transnationale Zusammenarbeit. Im Jahr 2005 beschloss das Europäische Parlament auf Antrag des EU-Parlamentariers Michael Cramer die Initiative „Iron Curtain Trail“. Der Iron Curtain Trail hat eine Gesamtlänge von rund 7.000 km und führt ebenfalls vom Eismeer im nördlichen Norwegen bis zum Schwarzen Meer an die Grenze zwischen dem heutigen Bulgarien und der Türkei. Der Radweg quer durch Europa hat das Ziel, den Radreisenden die Geschichte, Kultur und die damit verbundene Politik zum einen erfahrbar zu machen und gleichzeitig die gemeinsame Identität zu fördern. Teilstücke des Trails wurden bereits ausgebaut und beschildert. In Niederösterreich konnten die Strecken bereits entsprechend in das Gesamtnetz eingebunden und beschildert werden. In Oberösterreich und dem Burgenland wurden Teilstrecken bereits ausgebaut und werden im Folgenden ergänzt. Durch die regionale Zusammenarbeit mit dem Ziel die Strecken zu planen und zu optimieren, konnte die grenzübergreifende Zusammenarbeit zwischen den Nachbarstaaten gefördert und gestärkt werden. Mit den aktuellen Entwicklungen hinsichtlich des Klima- und Umweltschutzes sowie dem Trend zum Radfahren ist die verstärkte Benützung des Radweges bereits spürbar und die Tendenz der Auslastung steigend. Folglich hat man sich nun das Ziel gesetzt, die Servicequalität für die Radfahrer*innen zu verbessern.

Obwohl das Grüne Band Europas immer mit der tragischen Geschichte des 20. Jahrhunderts verbunden bleiben wird, steht es dadurch noch viel mehr für den Frieden und die gemeinsame Zukunft Europas. Es ermöglicht nicht nur den Erhalt eines vernetzten Lebensraumes für seltene Pflanzen- und Tierarten quer durch Europa, sondern stellt auch eine wichtige Grundlage für die Annäherung von einst voneinander getrennten Staaten und Menschen dar. Denn wer seinen Blick hebt und sein Gegenüber wahrnimmt, der sieht keine Grenzen, sondern das Verbindende.

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