"Autos kaufen nichts."

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von Michael Schoberleitner

Es ist Mitte Dezember, die Kärntner Straße im ersten Wiener Gemeindebezirk wird von tausenden Menschen geradezu überrannt. Die von Geschäften und Restaurants gesäumte und zu dieser Jahreszeit mit glitzernden Lichterketten dekorierte Straße ist eine der wichtigsten Fußgängerzonen der Inneren Stadt, durchströmt von Tourist*innengruppen, Schulklassen, Familien und so manchen älteren Damen im Pelzmantel. 

Wer würde wohl vermuten, dass vor mehreren Jahrzehnten an genau dieser Stelle eine Hauptverkehrsroute lag, die Luftqualität kaum ertragbar war und die Innere Stadt im Allgemeinen für Menschen so unattraktiv wurde, dass man den ersten Bezirk schon fast zu Grabe trug. Der U-Bahnbau im Jahr 1971 war ein willkommener Anlass, um das Verkehrschaos zu beenden. Die Kärntner Straße wurde zur ersten großen Fußgängerzone Wiens. Erwartungsgemäß gingen die Wogen sowohl in der Bevölkerung als auch bei Wirtschaftstreibenden hoch. Die lokalen Geschäftsleute fürchteten durch das Wegbleiben der Autos ihren Ruin. Gekommen ist es schließlich anders. Heute bildet die Kärntner Straße gemeinsam mit dem Graben, dem Stephansplatz, dem Kohlmarkt und dem goldenen Quartier ein Netz aus Plätzen und Fußgänger*innenzonen.

Die Idee zur Fußgänger*innenzone in der Kärntner Straße stammt von Viktor Gruen, einem Stadtplaner und Architekten aus Wien. Internationale Bekanntheit erlangte Gruen durch seine Entwürfe für die ersten modernen Einkaufszentren an den Rändern von amerikanischen Städten. Er selbst war ein Fan von engen Gassen und kleinteiligen Strukturen, die für viele europäische Innenstädte typisch sind. Diese wollte er in einer überdachten Form als „Shopping Mall“ in Amerika etablieren. Seine Entwürfe sahen aber nicht die heute dominierenden Einkaufstempel samt tausender Parkplätze vor, sondern kleine Städte in der Stadt mit Wohnanlagen, Grünräumen und zentralen Einkaufsmöglichkeiten. Als er gegen Ende der 60er Jahre vom Wiener Bürgermeister Felix Slavik mit einem Innenstadtkonzept für Wien beauftragt wurde, entstand unter anderem die Idee für die Umgestaltung der jetzt so prächtigen Fußgänger*innenverbindung zwischen dem Stephansdom und der Staatsoper. 

Der Weg dahin war allerdings ein schwieriger. Geschäftsleute liefen Sturm gegen die Umgestaltung und brachten als Argument vor allem den drohenden Umsatzverlust vor. Viktor Gruen verteidigte die Strategie mit den einfachen Worten „Autos kaufen nichts!“. Verkehrsplaner Hermann Knoflacher, welcher bei den damaligen Planungen ebenfalls beteiligt war, erinnert sich in einem Standard-Interview aus dem Jahr 2011 an die wütenden Proteste. Die Strategie, nämlich je weniger Parkplätze vorhanden seien, desto mehr Menschen würden in die Stadt kommen, bewahrheitete sich und schließlich konnte das Projekt als Erfolg verbucht werden.

Die Kärntner Straße um 1930, Quelle: Archineers
Kärntner Straße heute, Quelle: Der Standard

Ein Zeitsprung ins Jahr 2011. Die Wiener Grünen starteten eine Diskussion um eine neue Fußgängerzone bzw. Begegnungszone in Wien. Es handelte sich dabei um die bekannte Einkaufsmeile Mariahilfer Straße, die an der Grenze der beiden Wiener Gemeindebezirke Mariahilf und Neubau liegt. Die Einkaufsstraße, welche jeden Tag von tausenden Menschen und Fahrzeugen passiert wird, sollte Wiens erste Begegnungszone werden. Es handelt sich dabei um ein aus der Schweiz stammendes Konzept, welches den Fußgänger*innen den Vorrang gegenüber motorisierten Fahrzeugen gibt, die Grenze zwischen Gehsteig und Fahrbahn verwirft und vor allem auf ein achtsames Miteinander aller Verkehrsteilnehmer*innen setzt. 

Die ersten Pläne und das ausgearbeitete Verkehrskonzept wurden von einer aus der Bevölkerung und den Geschäftstreibenden bestehenden Gegenbewegung kritisiert. Den wohl stärksten Gegenwind bekam die geplante Begegnungszone aber von der Wirtschaftskammer, welche vor allem Rückgänge bei den Umsätzen und Kund*innenzahlen befürchtete und schließlich auch Entschädigungszahlungen während der Bauphase für die Geschäfte forderte. Bei einer Bürger*innenbefragung von Anrainer*innen im Februar 2014 sprachen sich 53,2 Prozent für die Verkehrsberuhigung aus und die Bauarbeiten konnten beginnen. Knapp zwölf Monate danach, im August 2015, eröffnete die neue Mariahilfer Straße. Das Prestigeprojekt der Wiener Grünen hatte einen langen und steinigen Weg hinter sich, kann aber als Vorzeigeprojekt gesehen werden und läutete eine neue politische Mentalität im Bereich der Verkehrsberuhigung der Innenstadt ein.

Mariahilfer Straße vor dem Umbau, Quelle: Kurier
Die neue Mariahilfer Straße, Quelle: americanvienna

Seitdem sind vier Jahre vergangen. Begegnungszonen sind im Jahr 2019 in der Wiener Planungslandschaft allgegenwärtig. Aber nicht nur in der Planung hat sich ein drastischer Kurswechsel vollzogen. Alexander Biach, Standortanwalt für Infrastrukturprojekte in der Wirtschaftskammer Wien, resümiert in einem Interview der Wiener Zeitung vom Oktober 2019 über die positiven Entwicklungen durch die neuen Begegnungszonen. Er fordert, dass wir als Bürger*innen die Straßen wieder zurückerobern müssen und empfiehlt, das Konzept der Begegnungszone in allen 23 Bezirken Wiens umzusetzen. Durch die Umgestaltung würden nicht nur die Bürger*innen profitieren, sondern auch die lokale Wirtschaft, da sich Begegnungszonen spätestens zwei Jahre nach deren Fertigstellung rechnen würden und auch der Stadt zu erhöhten Einnahmen verhelfen. Biach spricht von einem Kurswechsel der Wirtschaftskammer, denn der Umbau habe sich rentiert. 

Klar ist, dass die Wende zur autofreien und verkehrsberuhigten Innenstadt schon längst begonnen hat. Ebenso wie viele andere Städte wird auch Wien kontinuierlich wachsen und muss dabei auf eine zukunftsorientierte Raumplanung setzen, um allen Bewohner*innen weiterhin jene Lebensqualität, für die Wien bekannt ist, bieten zu können. Die Kärntner Straße und die Mariahilfer Straße waren wichtige Vorreiter einer neuen Planungskultur, die sich mittlerweile nicht nur im öffentlichen Raum widerspiegelt, sondern auch in den Ansichten der Bevölkerung. Eine Reduzierung der Parkplätze, das Minimieren der Verkehrsbelastung und das Wegfallen der dadurch entstehenden Lärm- und Luftschadstoffe hat demonstriert, dass diese umgestalteten Räume neue und vor allem mehr Menschen anziehen. Dies wiederum zeigt, dass alle und vor allem Geschäfte davon profitieren können, denn wie bereits erwähnt, Autos kaufen eben nichts!

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